• Beitrag zuletzt geändert am:1. August 2025
Du betrachtest gerade Die Stressreaktion: So verhalten sich Menschen bei Stress

Du kennst das sicherlich: Du fühlst dich überfordert oder bedroht – und es dauert nicht lange, bis deine Stressreaktion anspringt. Vielleicht verlässt du fluchtartig die Situation? Womöglich spürst du auch, dass du „rot“ siehst und deinem Gegenüber am liebsten dorthin treten möchtest, wo es weh tut?

Welche Stressreaktionen es gibt und welche Verhaltensweisen dir zeigen, welche Reaktion bei dir typischerweise unter Stress abläuft, erfährst du in diesem Beitrag.

Stress: ein ausgeklügelter mechanismus

Dein Organismus verfügt über zahlreiche kluge Mechanismen. Die Stressreaktion gehört dazu. Diese Reaktion ist von der Evolution dafür vorgesehen, dass wir uns in einer akuten Gefahrensituation in Sicherheit bringen. Und das so schnell wie möglich. Die Stressreaktion ist ein ausgeklügelter und fein abgestimmter Ablauf.

Verantwortlich dafür, dass bei dir eine Stressreaktion in Gang gesetzt wird, ist ein kleiner Teil deines Gehirns: die Amygdala. Dabei handelt es sich um eine paarige Struktur im limbischen System. Das limbische System ist – evolutionär betrachtet – einer der ältesten Teile des Gehirns. Es ist unter anderem daran beteiligt, deine Emotionen zu steuern oder Lerninhalte im Gedächtnis zu speichern. Die Amygdala im limbischen System ist DIE Instanz, wenn es darum geht, einen Reiz als bedrohlich oder harmlos zu bewerten[1].

Sie entscheidet in Sekundenbruchteilen, ob du dich in einer potenziellen Gefahrensituation befindest. Daher wird die Amygdala gern auch als Stressdirigentin bezeichnet. Sobald sie zur Einschätzung kommt, dass deine Sicherheit bedroht ist, sendet sie ein Signal an den Hypothalamus.

Während die Amygdala also die Dirigentin ist, ist der Hypothalamus der Intendant: Er hat die Verwaltungshoheit über dein vegetatives Nervensystem und dein Hormonsystem. Und er setzt in Sekundenbruchteilen die Stressreaktion in Gang.

Jede Stressreaktion löst ganz typische Verhaltensweisen aus. Häufig jedoch sind diese Verhaltensweisen nicht gerade förderlich, weil sie uns selbst oder unserem Umfeld schaden können. Dazu erfährst du weiter unten mehr.

Stressreaktionen laufen übrigens bei jedem Menschen unterschiedlich ab: Je nach Situation, je nach Stärke der wahrgenommenen Belastung und je nach individueller Konstitution reagieren Menschen ganz verschieden[2].

Es kommt also zum einen auf die Art der wahrgenommenen Belastung an, welche Hormone dein Körper in welcher Stärke ausschüttet. Und zum anderen hängt es auch von deinen biografischen Erfahrungen ab, welche Stressreaktion bei dir abläuft (wir alle haben in unserer Kindheit einen bestimmten Stil erlernt, mit Belastungen umzugehen).

Die vier Stressreaktionen – die 4 F:

Wir unterscheiden zwischen vier Stressreaktionen: Fight, Flight, Freeze und Fawn.

Fight und Flight – also Kampf und Flucht – kennen vermutlich die meisten Menschen. Dabei handelt es sich um aktive Stressreaktionen, bei denen dein Sympathikus dir jede Menge Energie zur Verfügung stellt, um auf eine wahrgenommene Gefahr zu reagieren: entweder durch Kämpfen oder Flüchten. Der Sympathikus ist der Teil des vegetativen Nervensystems, der umgangssprachlich „Leistungsnerv“ genannt wird. Denn er versorgt dich mit Energie, indem er zum Beispiel deinen Herzschlag beschleunigt, den Blutdruck ansteigen lässt und die Atemfrequenz erhöht.

Freeze beschreibt das sogenannte Einfrieren oder auch Erstarren. In den Freezemodus gelangt dein Organismus dann, wenn „nichts mehr geht“. Physiologisch betrachtet sind sowohl dein Sympathikus als auch dein Parasympathikus – der „Entspannungsnverv“ – gleichzeitig aktiviert. Wenn eine Bedrohung als zu übermächtig eingeschätzt wird, und weder Kampf noch Flucht möglich erscheinen – dann kommt es zu einer Art „Notabschaltung“: Du fühlst dich womöglich bewegungsunfähig, innerlich leer oder „abwesend“.

Fawn ist die vierte Stressreaktion. Sie wurde erstmalig von dem amerikanischen Psychotherapeuten Pete Walker [3] benannt. Fawn bedeutet übersetzt „Rehkitz“. Diese Stressreaktion wird daher auch „Bambireflex“ genannt. Bei dieser Stressreaktion versuchen Menschen, sich in einer bedrohliche Situation durch (Über)Anpassung, Einschmeicheln und Unterwerfen zu schützen. Fawn ist ein Schutzmechanismus, der vor allem in emotional instabilen Beziehungen dafür sorgen soll, durch beschwichtigendes Verhalten Sicherheit zu erfahren.

Damit du dir besser vorstellen kannst, wie diese vier Stressreaktionen aussehen, habe ich dir eine Übersicht erstellt.

Stressreaktion Fight (Kampf):            

Im Kampfmodus möchtest du deine Sicherheit gewährleisten, indem du zum Angriff übergehst. Diese Stressreaktion, bei der dein Sympathikus jede Menge Energie mobilisiert, ist von außen oft leicht zu erkennen.

Typische Verhaltensweisen können sein:

  • Einschüchterungen
  • Kritisieren und Korrigieren
  • Zynismus und Sarkasmus
  • lautes und schnelles Reden „ohne Punkt und Komma“
  • Monologisieren („Hier redet nur eine Person, und zwar ich“)
  • Wutausbrüche
  • verbale und/oder physische Gewalt

Stressreaktion Flight (Flucht):

Im Fluchtmodus möchtest du deine Sicherheit gewährleisten, indem du die Flucht ergreifst. 

Hierbei gibt es übrigens zwei Möglichkeiten: die Flucht nach innen oder die Flucht im Außen.

Die Flucht im Außen ist deutlich wahrnehmbar.

Typische Verhaltensweisen bei der Flucht im Außen können sein:

  • bestimmten Menschen oder Situationen aus dem Weg gehen
  • potenziell konfliktbehaftete Gespräche meiden
  • hyperaktives Verhalten, ständige Geschäftigkeit und Aktionismus
  • aus einer Situation hinausgehen, den Raum oder das Gebäude verlassen

Die Flucht nach innen wird nicht immer als solche erkannt. Oft erkennen wir selbst nicht, dass eine unserer Reaktionen ein Anzeichen für unseren Stress ist.

Typische Verhaltensweisen bei der Flucht nach innen können sein:

  • Zurückzug in die eigene Gedankenwelt
  • Grübelschleifen
  • Sorgen, Zweifel
  • „Kopfkino“, das sich nicht kontrollieren/stoppen lässt

Stressreaktion Freeze (Erstarren):

Wenn du im Erstarrungsmodus bist, möchtest du deine Sicherheit durch Vermeiden und „Wegducken“ gewährleisten.

Ich habe oben geschrieben, dass es sich hierbei um eine aktive Stressreaktion handelt. Auch, wenn sie von außen betrachtet, komplett passiv wirkt. Schließlich sitzt du unbeweglich auf der Bettkante oder dem Sofa und rührst dich nicht.

Doch in deinem Organismus herrscht alles andere als Ruhe. In dir drin ist jede Menge Aktivität. Denn dein Körper stellt dir auch bei dieser Stressreaktion jede Menge Energie bereit, um dich aus der Gefahrenzone zu bringen (dabei spielt es übrigens keine Rolle, ob du objektiv in Gefahr bist oder ausschließlich subjektiv das Gefühl einer Bedrohung hast). 

Das heißt, dass zum Beispiel dein Muskeltonus erhöht ist: Damit du der Gefahr entkommen kannst, sorgt dein Organismus dafür, dass deine Muskeln angespannt und bereit zum Kämpfen oder Wegrennen sind. Auch bei dieser Stressreaktion sorgt also dein Sympathikus dafür, dich zu mobilisieren. 

Doch du tust weder das eine noch das andere. Die körperliche Energie ist zwar da, doch der Handlungsimpuls bleibt aus. Statt in Aktion zu treten, bleibst du regungslos und passiv. Der Grund dafür ist, dass bei dieser Stressreaktion gleichzeitig auch dein Parasympathikus aktiviert wird.

Also jener Teil deines vegetativen Nervensystems, der auch als „Entspannungsnerv“ bezeichnet wird. Du kannst dir das Ganze vereinfacht so vorstellen, dass du mit einem Fuß das Gaspedal voll durchtrittst (Sympathikus) und gleichzeitig mit dem anderen Fuße auf die Bremse trittst (Parasympathikus).

Typische Verhaltensweisen können sein:

  • körperlich steif werden – am ganzen Körper oder nur in bestimmten Körperteilen
  • angespannte Muskeln bei gleichzeitiger Bewegungslosigkeit
  • die Unfähigkeit, Entscheidungen zu treffen
  • Müdigkeit, Motivationslosigkeit, Antriebslosigkeit
  • soziale Isolation
  • innere Leere, Gefühllosigkeit

Stressreaktion Fawn (Einschmeicheln/Unterwerfen):

Im Unterwerfungsmodus willst du deine Sicherheit durch starke Anpassung gewährleisten. Diese Stressreaktion hat ihren Ursprung in der (frühen) Kindheit. Kinder lernen, dass sie ein bestimmtes Maß an Sicherheit und Geborgenheit erhalten können, wenn sie sich fügsam und „brav“ verhalten – sei es zum Beispiel im Elternhaus oder in der Schule.

Typische Verhaltensweisen können sein:

  • sich bei anderen einschmeicheln
  • stets für gute Laune beim Gegenüber sorgen wollen
  • „ja“ sagen, obwohl man „nein“ meint
  • eigene Wünsche und Bedürfnisse missachten oder gar nicht wahrnehmen
  • sich entschuldigen, obwohl es keinen Grund dafür gibt
  • Konflikte vermeiden
  • hohe Anpassung an die Bedürfnisse und Vorlieben von anderen
  • Harmoniesucht
  • „Peoplepleasing“

Jede stressreaktion hat positive und negative aspekte

Was für viele Situationen im Leben gilt, gilt auch für Stressreaktionen: Es gibt sowohl Vor- als auch Nachteile. Wie ich oben schon geschrieben habe: Jede dieser Stressreaktionen will dafür sorgen, dass deine Sicherheit gewährleistet wird.

Auch, wenn dir die eine oder andere Verhaltensweise bei dir (oder anderen) überhaupt nicht gefällt, ein Gefühl von Scham auslöst und dich beeinträchtigt: Stressreaktionen sind evolutionär überlebenswichtige Mechanismen. Sie haben den Zweck, dich im Nullkommanichts aus einer Gefahrensituation zu retten. Ich beschreibe dir als Erstes, welche „positive Absicht“ bei jedem der vier Reaktionsmuster mitschwingt.

Wenn du weißt, welche positiven Aspekte in jeder der Stressreaktionen stecken, kannst du dich womöglich mit Verhaltensweisen aussöhnen, die du nicht so toll findest.

Auf jeden Fall trägt das Wissen über typische Verhaltensweisen dazu bei, dir selbst und auch deinen Mitmenschen mit mehr Verständnis zu begegnen.

Die positiven Aspekte der 4 F:

Der Fightmodus versetzt dich in einen Zustand von Stärke und Durchsetzungskraft.

Der Flightmodus ermöglicht dir, dich diplomatisch und flexibel zu verhalten – du musst dich nicht in jede Konfrontation stürzen.

Der Freezemodus ermöglicht dir, auch belastende Situationen durchstehen zu können.

Der Fawnmodus ermöglicht dir empathisches Verhalten und die Fähigkeit, dich in Bedürfnisse anderer hineinzuversetzen.

Die negativen Aspekte der 4 F:

Negative Auswirkungen hat jeder Stressmodus dann, wenn er ausschließlich oder übertrieben gezeigt wird. Wenn du dich also nicht mehr angemessen verhältst und die Stressreaktion die Kontrolle über dich gewinnt (so dass du am Ende dir selbst oder anderen Schaden zufügst).

Laut Pete Walker können Menschen, die eine Erziehung erfahren haben, die „gut genug“ war – die also ein ausreichendes Maß an Sicherheit und Verbundenheit in der Kindheit erlebt haben – flexibel zwischen den Stressreaktionen hin und her pendeln.

In dem Fall verfügen Menschen über ein breites und der Situation angemessenes Verhaltensrepertoire. Statt unflexibel bei jeder Bedrohung „draufzuhauen“ oder stets kopflos zu flüchten, haben sie die Möglichkeit, jede der 4 F „anzuzapfen“.

Wie stresst du?

Abschließend möchte ich dir einen Impuls mitgeben: Beobachte einmal, welche Stressreaktion du besonders oft bei dir erlebst. Neigst du tendenziell eher zum Fluchtmodus? Oder zeigst du häufig Verhaltensweisen, die dem Bambireflex zuzuordnen sind?

Mache dir bewusst, welche Verhaltensweisen du vielleicht besonders oft an den Tag legst:

Knallst du lautstark die Türen?

Ziehst du dich in deine Gedankenwelt zurück?

Lächelst du, obwohl du eigentlich schreien willst?

Mache dir also zunächst deine Verhaltensweisen bei Stress bewusst. Selten neigen wir ausschließlich zu einer einzigen Stressreaktion, sondern zeigen Reaktionen aller Muster.[4] Doch es kann sein, dass du eine Tendenz erkennst.

Du fragst dich vielleicht: und dann?

Nun, wenn es dir gelingt, deine Stressreaktion bewusst wahrzunehmen, kannst du im nächsten Schritt überprüfen, ob das in der jeweiligen Situation eine sinnvolle Reaktion ist:

  • Ist die Reaktion in dem Moment hilfreich? 
  • Unterstützt sie dich dabei, dich in „Sicherheit“ zu bringen? 
  • Oder schadet sie dir? 
  • Schadet sie anderen?

In einem Notfall ist diese Übung nichts, was sinnvoll ist oder funktionieren würde. Wenn auf der Straße ein Auto auf dich zurast, willst du nicht erst überprüfen, welche Stressreaktion angemessen sein könnte.

Doch in weniger bedrohlichen Situationen ist dieses Bewusstmachen eine wertvolle Strategie. Du kannst dann nämlich versuchen, einen Fuß in die Tür zu bekommen. Wenn dein Stresslevel (noch) niedrig ist, hast du die Chance, eine passendere Stressreaktion zu wählen – also etwas, das dich in der jeweiligen Situation besser unterstützt. 

Vielleicht sagst du dann das nächste Mal „nein“, statt mit einem Lächeln die x-te Zusatzaufgabe an der Arbeit zu übernehmen.

Vielleicht verlässt du eine Gesprächssituation, statt lautstark dagegenzuhalten.

Oder du gehst endlich in das Gespräch hinein, vor dem du dich schon seit langem gedrückt hast und weggelaufen bist.

zum abschluss

Es ist unglaublich wertvoll, sich selbst in stressigen Situationen besser zu verstehen. Zu erkennen, welche Stressreaktion du bevorzugt zeigst, ist ein Schritt zu mehr innerer Sicherheit. Wenn du deine Muster erkennst, kannst du lernen, dich nicht mehr so oft automatisch von ihnen steuern zu lassen. Ja, das benötigt Geduld und Zeit, manchmal auch etwas Mut, genauer hinzuschauen – doch ich halte es für unglaublich lohnenswert und selbstermächtigend.

In meinen 1:1-Sitzungen begleite ich genau diesen Prozess: Wir erforschen gemeinsam deine individuellen Reaktionsmuster und entwickeln Wege, wie du selbstbestimmter mit diesen Mustern umgehst, sie veränderst und dich somit stabiler durch den Stress navigierst. Wenn du merkst, dass dies ein Thema ist, das dich betrifft – dann melde dich gern bei mir. Hier findest du weitere Infos zum Nachlesen: 1:1-Coaching.


[1] Mallison, Maike; Harbs, Daniel: Burnout ist out. Wie Sie das Ausbrennen verhindern, Wiesbaden, Deutschland: Springer Gabler, 2021

[2] Walker, Pete: The 4Fs: A Trauma Typology in Complex PTSD, o. D., https://pete-walker.com/fourFs_TraumaTypologyComplexPTSD.htm[abgerufen am 02.05.2023]

[3] Kaluza, Gert: Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. 4. Aufl., Berlin, Deutschland: Springer, 2018

[4] ADxS.org – Das AD(H)-Kompendium: Die Stresssysteme des Menschen – Grundlagen von Stress, 13.03.2023, https://www.adxs.org/de/page/92/die-stresssysteme-des-menschen-grundlagen-von-stress [abgerufen am 02.05.2023]

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